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"Zwei mal drei macht vier …"

Nobel_Langstrumpf
Freitag, 4. November 2022

"Zwei mal drei macht vier …"

In der Begründung des heuer von der Schwedischen Reichsbank vergebenen sogenannten “Wirtschaftsnobelpreis” klingt manches schräg – ähnlich wie im bekannten Pippi-Langstrumpf-Lied (aber vielleicht nicht ganz so sympathisch). Wir haben näher hingesehen.

 

In der Begründung der Verleihung seitens des Komitees(1) findet sich eine Grafik mit folgender Erklärung: "The bank functions as an intermediary that channels deposits with short maturity to long-term investments." Eine Bank wäre also Intermediär (Vermittler) und würde Einlagen von Kund*innen verwenden, um sie dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung zu stellen. Eine “schräge” Darstellung. Sie falsch zu nennen, wäre wohl auch vertretbar. In der realen Welt jedenfalls funktionieren Banken nicht so. Banken geben nicht Geld von Kund*innen an andere weiter, sie stellen Geld per Kredit zur Verfügung, und ein Kredit ist immer neues Geld, das durch „Geldschöpfung“ entsteht. Geldschöpfung ist das besondere Recht, das im Kern die sogenannte Banklizenz ausmacht. Das ist nicht Magie, sondern schlicht ein Grundbaustein unseres derzeitigen Geldsystems. Die oben genannte beschriebene Vorstellung, wie Banken angeblich funktionieren, ist aber immer noch weit verbreitet. Immerhin leisten bestimmte "Fachkreise" bereits Aufklärung: In einem Dokument der Deutschen Bundesbank mit dem Titel „Häufig gestellte Fragen zum Thema Geldschöpfung“ findet sich beispielsweise der Satz: "Tatsächlich wird bei der Kreditvergabe durch eine Bank stets zusätzliches Buchgeld geschaffen. Die weitverbreitete Vorstellung, dass eine Bank 'auch altes, schon früher geschöpftes Buchgeld, z.B. Spareinlagen, weiterreichen' (könne), wodurch die volkswirtschaftliche Geldmenge nicht erhöht wird, trifft nicht zu." (2)

 

Bei Interesse, das eigene Wissen darüber zu vertiefen, wie unser derzeitiges Geld- und Finanzsystem funktioniert, verweisen wir an dieser Stelle auf das Angebot der Akademie für Gemeinwohl. Im Folgenden laden wir nun zu einem anderen Blickwinkel auf die Preisvergabe ein.

 

Wofür steht der “Wirtschaftsnobelpreis”?

Vorneweg: Ginge es nach Alfred Nobel, dürfte es diese Auszeichnung gar nicht geben, jedenfalls nicht unter seinem Namen. "Es gibt nicht den geringsten Grund, warum ich, der ich für das Kaufmännische nicht ausgebildet bin und es von Herzen hasse, damit fortfahren sollte.", schrieb er in einem Brief(3). Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden schätzte er hoch, dafür stiftete er jeweils eigene, fachspezifische Nobelpreise. Die Wirtschaftswissenschaften hatte er nicht einfach vergessen, vielmehr hielt er sie für "zu weich und zu unpräzise". Er zählte sie nicht zu den Disziplinen, die "der Menschheit den größten Nutzen" bringen. Der hier behandelte "Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne" (Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften) wurde erst 1969 – von einer Bank – erstmals verliehen.

 

Ein weiterer Blickwinkel: Seit der erstmaligen Verleihung 1969 wurde der Preis an 92 Personen verliehen. Davon stammen 72 aus den USA, 9 aus Großbritannien, die restlichen 11 verteilen sich je zur Hälfte auf andere europäische bzw. nicht-europäische Länder. 90 Personen waren Männer, 2 Frauen. Zwei waren nicht weißer Hautfarbe (Männer). Das so entstehende Bild spiegelt reale Machtverhältnisse wider, mag zum Teil allgemeinen Faktoren gesellschaftlicher Entwicklung geschuldet sein und kommt nicht nur bei diesem als renommiert geltenden Preis vor. Es gibt aber noch eine andere kritische Perspektive.

 

Auf inhaltlicher Ebene betrachtet – Wofür wurde der Preis vergeben? – ist ein bestimmtes Denkgebäude überproportional vertreten: „Neoliberalismus“ bzw. „Neoklassik“. Das geht im Prinzip vom Wettbewerb als effizientester Form aus, um Wirtschaft zu organisieren, und rechnet mit dem Menschen als homo oeconomicus, der jede Entscheidung rational danach trifft, was ihm und seinen Allernächsten am meisten nutzt. Ist das nun eine – fachliche/sachliche – Herangehensweise und damit einhergehende „Erkenntnis“, die mehr Anerkennung verdient als andere? Ist sie „richtiger“ als z.B. “Keynesianismus”, „Postwachstumsökonomie“, "Gemeinwohl-Ökonomie", „Schenkökonomie“, Kreislaufwirtschaft, oder andere?

 

Die Frage liegt nahe, ob dahinter eine bestimmte Absicht steht. Vielleicht die, bestimmten Vorstellungen darüber, wie Wirtschaft, wie Geld, wie Banken, etc. funktionieren, mehr Gewicht verleihen zu wollen als anderen Modellen. Darüber könnte man sich ärgern – muss man aber nicht! Wir laden dich heute dazu ein, die Sache anders zu betrachten. Let’s move on!

Eine andere Perspektive – konstruktiv!

Alfred Nobels Sicht auf die Wirtschaftswissenschaften wurde bereits dargestellt. Viele nach ihm kritisierten die Einführung dieses „Wirtschaftsnobelpreis“ ähnlich wie er selbst – ganz im Sinne des unfreiwilligen Namensgebers. Der Preis stelle einen Versuch dar, die Wirtschaftswissenschaften eher in die Nähe von Naturwissenschaften zu rücken, bzw. sie von den Sozialwissenschaften abzusetzen. Naturwissenschaften versuchen ja, „Welt“ zu beschreiben, wie sie ist – unabhängig davon, wie Menschen sie sich vorstellen (wollen). Sozialwissenschaften hingegen befassen sich mit Vorstellungen der Menschen von „Welt“ und deren Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist zwar sehr vereinfacht ausgedrückt, aber diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Naturwissenschaften ein anderer (gefühlt höherer) Gehalt an Wahrheit zugeschrieben wird. Wenn also Wirtschaft nach Gesetzmäßigkeiten funktionieren würde, die den Charakter von Naturgesetzen hätten, könnte man „Erkenntnissen“ möglicherweise mehr Legitimität zuschreiben. Also bestimmte Ansichten leichter als richtig und andere als falsch bezeichnen. Im akademischen Kontext wird jedenfalls weiterhin zwischen „Naturwissenschaften“ und „Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ unterschieden. Daraus wiederum bietet sich nun die Ableitung eines – wie wir finden – sehr schönen Gedankens an.

 

“Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt”

Gerne übernehmen wir dieses sympathische Pippi-Langstrumpf-Motto! Wie Wirtschaft, Geld, Banken, etc. funktionieren, unterliegt nicht Naturgesetzen. Sie funktionieren prinzipiell so, wie wir uns das vorstellen, vorstellen wollen – wie es uns gefällt! Nehmen wir uns doch einfach ein Beispiel: Bemühen wir uns intensiv darum, die Vorstellungen von einem „richtigen“ Sozial- und Wirtschaftssystem zu beeinflussen. Das geht! Sich zusammentun, einander die wesentlichen Fragen stellen. Welche Elemente gehören für mich, für euch zu einem richtig guten Leben? Habt ihr schon von Vollgeld-System, Regionalwährungen, BGE, Steuerreform xy, … gehört, und was sie ausmacht? Was brauche ich, was brauchst du, um Handlungsspielräume besser einschätzen und wahrnehmen zu können? Welche Schritte wollen wir gemeinsam gehen? Wer könnte sich noch für unseren Austauschraum, unsere Initiative interessieren? Welche Möglichkeiten haben wir, um unsere Vision freudvoll umzusetzen? Usw.

 

Vielleicht kommt dann jemandem unter uns eine ganz besondere Erkenntnis, die zur Verleihung eines "Nobelpreises" führt ;-)

Jedenfalls sind Geld, bzw. das Geld- und Finanzsystem aus unserer Sicht besonders wirkmächtiges Mittel zur Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. In diesem Sinne wieder einmal eine herzliche Einladung zum "Geld gemeinsam gestalten!" mit der Genossenschaft für Gemeinwohl.

 

(1)    https://www.nobelprize.org/uploads/2022/10/popular-economicsciencesprize2022.pdf
(2)    https://www.bundesbank.de/resource/blob/614528/ca4942c86c4f86881309fac3942c3f0a/mL/haeufig-gestellte-fragen-geldschoepfung-data.pdf
(3)    Kenne Fant: Alfred Nobel (Lebensgeschichten aus der Wissenschaft), Birkhäuser, Basel 1995, S. 196