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Libra: "Freiheit, Gerechtigkeit und Geld"?

Mittwoch, 27. November 2019 – von Thomas Scheiwiller

Libra: "Freiheit, Gerechtigkeit und Geld"?

Nicht ohne Pathos hat David Marcus, das in Genf aufgewachsene Mastermind hinter Libra, seine idealistischen Grundsätze für die Kryptowährung von Facebook an das Revolutionsmotto Liberté, Egalité, Fraternité angelehnt: „Liberté, justice et argent“ – Freiheit, Gerechtigkeit und Geld. Libra leitet sich als Begriff sowohl vom französischen liberté als auch vom englischen Sternzeichen der Waage und der römischen Bezeichnung für das Silberpfund ab.1

Der Medienkonzern rund um das soziale Netzwerk Facebook hat sich mit der eigenen Kryptowährung Libra ein großes Ziel gesetzt: Nur mit einem Smartphone soll ab 2020 mit Libra über eine Milliarde Menschen, die keinen Zugang zum Bankensystem haben, einen Anschluss ans Finanzsystem finden.2 Einen Markt sieht Facebook u.a. bei den sog. Remittances, den Überweisungen migrierter Menschen an Familienangehörige in ihren Herkunftsländern und deren Transaktionskosten. Dieser globale Anspruch scheitert jedoch an der Tatsache, dass die Zugangsbedingungen von Smartphone und Internet in vielen strukturschwachen Regionen der Welt oft gar nicht gegeben sind.3 Facebook will ab 2020 seinen ca. 2,3 Mia aktiven Nutzer*innen ermöglichen, über WhatsApp und Messenger bzw. dem eigenen digitalen Wallet Calibra elektronisch Geld zu überweisen. Weil eine ‚Weltwährung‘ wie Libra den Kontroll- und Zuständigkeitsbereich, aber auch das Machtgefüge vom staatlichen Zentralbankensystem hinterfragt, haben die EU und die USA auf (finanz-)politischer Ebene Ablehnung signalisiert. Daher stellt sich die Frage, ob Facebooks „Währung“ bereits vor ihrer Einführung als gescheitert gilt?4

 

Vor- und Nachteile einer Kryptowährung
Im Gegensatz zu anderen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum kann man die Libra nicht minen. D.h. die Transparenz, Kontrolle und Datenverarbeitung von Transaktionen in sog. Blockchains werden nicht von dezentralen gleichgestellten Mitgliedern gewährleistet, sondern von Großunternehmen betrieben. Die Befürworter*innen von Kryptowährungen sehen jedoch gerade in der unabhängigen ‚Geldschöpfung‘ einen Vorteil gegenüber einem zentralisierten Geldsystem. Die dezentralen ‚Datenblöcke‘ (Blockchain) bieten als ein peer-to-peer System eine Kontrolle auf Augenhöhe. Idealerweise sollen so nicht nur Hierarchien überwunden, sondern auch Manipulationsversuche vom Netzwerk ausgeschalten werden. Jedoch in der Realität werden Kryptowährungen oft als Spekulationsobjekte verwendet, werden Datensätze gehackt oder es schleichen sich Programmierfehler ein. Ebenfalls wird zunehmend auf den enormen Energieaufwand für die „Schürfleistung“ hingewiesen.5
Digitale Zahlungsmittel werfen aufgrund der zunehmenden Automatisierung von Daten- und Geldtransfers Fragen auf, was auch unser konventionelles Verständnis von ökonomischem Handeln beeinflusst. Fasst man die Blockchain-Technologie als ein weltweites ‚Buchhaltungssystem‘ auf, das Transaktionen weltweit steuern und kontrollieren kann, dann erstaunt es nicht, dass Wirtschaftsunternehmen versuchen werden, auf Blockchain umzusteigen. Handelsbeziehungen werden dadurch immer distanzierter und unabhängiger voneinander ablaufen. Die Gefahr besteht einerseits darin, dass dabei viele Jobs verloren gehen oder gar ganze Berufsfelder wegrationalisiert werden. Auf der anderen Seite sehen wir uns auch gesellschaftlich immer häufiger der Situation ausgesetzt, „Entscheidungen“ von Algorithmen zu vertrauen.
Im Zusammenhang mit der Mensch-Maschinen-Interaktion bzw. deren Algorithmen wird zunehmend von „Vertrauen“ gesprochen, was ungewöhnlich ist. Früher wurde dieses Verhältnis als „reliability“, also als Verlässlichkeit, beschrieben. Aufgrund von Algorithmen und einem Hochfrequenzhandel können Handelsteilnehmer*innen kaum mehr durchblicken, welche Werte am Markt erzeugt werden. Geld ist als Tauschmittel bereits ein Schritt hin zu dieser Abstraktionsleistung – Kryptowährungen potenzieren diese Abstraktion weiter. In diesem Zusammenhang wird dann von einer „moralischen Distanz“ gesprochen, wenn der organisatorisch reibungslose Produktions- und Handelsprozess gänzlich ohne soziale Interkation auskommt.6
Außerdem ist die Blockchaintechnologie, auf der die Kryptowährungen basiert, für die meisten Marktteilnehmer*innen nicht Teil ihrer wirtschaftlichen Realität. Um die eigene Sicherheit der Transaktionen zu gewährleisten, muss das minen des digitalen Geldes immer schwieriger werden – der Erfolg/Gewinn ist demnach v.a. langjährigen Nutzer*innen mit guter technologischer Ausrüstung vorbehalten. Dementsprechend ist die Kryptowährung aufgrund ihrer elitären technischen Voraussetzung als undemokratisch einzustufen.7

 

Libra zwischen digitaler Währung und physischem Geld
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Libra als Geld bzw. als Währung einzustufen ist? Erfüllt Libra die klassischen Geldfunktionen Tauschmittel, Wertaufbewahrung und Recheneinheit? Sie ist als elektronisches Bezahlungsmittel auf jeden Fall an keine staatlichen Organisationen gebunden, sondern wird von einer Gemeinschaft aus Großkonzernen verwaltet – der Libra Association mit Sitz in Genf. Aus diesem Grund wird Libra eher als alternatives Zahlungsmittel bezeichnet: als „Social Money“ oder als eine Art „Weltwährung“.
Aber ist Libra denn eine Kryptowährung? Nachdem die Teilhabe am Blockchain-Netzwerk (Nodes8) bei Libra nicht allen offen steht, sondern nur Firmen einen Transaktions-Server besitzen dürfen, sind die Grundsätze der peer-to-peer Sicherung wie Dezentralität und Privatheit nicht gegeben.9 Zudem sind für die Geldüberweisung sowohl persönliche als auch Kontodaten anzugeben, womit eine Libra-Überweisungen im Gegensatz zu blockchain-basierten peer-to-peer Kryptowährungen nicht anonym sind.10 Damit im Zusammenhang steht, dass die Datensicherheit bei Facebook schon länger grundsätzlich in Zweifel gezogen wird, was die schwer abzuschätzende Unsicherheit bezüglich des Kriminalitätspotentials einer weltweiten Währung nicht ausräumen kann.11
Libra ist als Währungskorb an €, $, £ und ¥ gebunden. Damit sollen nicht nur Kurssicherheit garantiert werden, sondern Facebook will mit ihrem digitalen Wallet Calibra die Möglichkeit bieten, Libra jederzeit gegen Fiatgeld zu wechseln und über ihre Kommunikationstools (WhatsApp und Messenger) direkt zu überweisen.12 Unklar bleibt dabei, wie die Banken eine Reserve für das immense digitale Wallet von Libra und deren Kund*innen garantieren können.13 Geld verdient Facebook einerseits über die Kund*innenanbindung an deren Kommunikationsmedien, was auch Firmen animieren soll, ihre Geschäfte über die Konzernplattformen abzuwickeln bzw. ihre Werbeaufträge darüber zu schalten. Zum anderen soll sich das digital wallet von Facebook, Calibra, über Kreditvergabe und Transaktionsgebühren finanzieren. Eine dritte Einnahmequelle ist der von Partnern der Libra Association eingeforderte Einsatz (10 Millionen Dollar), welcher gemeinsam mit den Reserveeinlagen der Libra-Käufer*innen investiert, verzinst und im Anschluss in Form von Dividenden wieder ausgeschüttet wird.14

 

Schon gescheitert?
Die (finanz-)politische Ablehnhaltung und die Androhung von Regulierungen hat bereits Auswirkungen gezeigt. Paypal, Mastercard, Visa, Ebay, der Finanztechnologiespezialist Stripe und der lateinamerikanische Bezahldienst Mercado Pago haben bereits angekündigt, sich aus dem Libra-Projekt zurückzuziehen. Die Partnerfirmen fürchten, dass die für Facebook angekündigten staatlichen Überwachungsmaßnahmen auch sie selbst betreffen könnte. Mark Zuckerbergs Motto des schnellen Handelns und des Überwindens von Konventionellem – „move fast and break things“15 – droht am klassischen Geld- und Bankensystem (vorerst) zu scheitern: „if you move too fast you break down“!

 

 

 

1    Lambrechts, Marc: David Marcus, l'homme derrière le Libra, 21.06.2019, https://www.lecho.be/dossier/portraits/david-marcus-l-homme-derriere-le-..., [abgerufen am: 07.11.2019]; zu David Marcus und Libra vgl. auch: Leisinger, Christof: Interview, David Marcus über Libra, «Wenn wir den Zahlungsverkehr nicht revolutionieren, machen es andere», in: NZZ-Online, 20.09.2019, https://www.nzz.ch/finanzen/wenn-wir-den-zahlungsverkehr-nicht-revolutio... [abgerufen am: 07.11.2019].
2    Dazu grundlegend: An Introduction to Libra: White Paper, From the Libra Association Members., https://libra.org/en-US/wp-content/uploads/sites/23/2019/06/LibraWhitePa... [abgerufen am 25.10.2019]
3    Vgl. Morazán, Pedr: Die Libra und der globale Süden. Facebooks Zugriff auf Geld und Daten der Armen, in: Weltwirtschaft und Entwicklung 6/7 (2019), S. 2–4, hier S. 2.
4    Vgl. Schieritz, Mark: Die eigene Währung ist gescheitert, 23.10.2019, in: Zeit Online, https://www.zeit.de/2019/44/facebook-libra-waehrung-soziales-netzwerk-ma... [abgerufen am: 26.10.2019].
5    Krause, Max J./Tolaymat, Thabet: Quantification of energy and carbon costs for mining cryptocurrencies, in: Nature Sustainability No. 11 (2018), S. 711–718.
6    Rotenberger, Julia: Interview mit Mark Coeckelbergh: „Der Bitcoin ist unfair“. Digitalwährung aus moralischer Sicht, 10.08.2017, in: Handelsblatt, https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/digitalw..., [abgerufen am: 26.10.2019]; vgl. dazu Coeckelbergh, Mark: Money machines. Electronic financial technologies, distancing, and responsibility in global finance, Farnham 2015, S. 107–121. 140–143.
7    Vgl. dazu Coeckelbergh: Money machines, 163–165; Ali, Robleh/Barrdear, John/Clews, Roger/Southgate, James: The Economics of Digital Currencies, in: Bank of England Quarterly Bulletin Q3 (2014), S. 276–286, hier: S. 279.
8    Nodes bezeichnen diejenigen Computer, welche sich mit einer Kryptowährungs-Software (Open-Source) als Netzwerk-Knotenpunkt anbieten.
9    Vgl. Nakamoto, Satoshi (Pseudonym): Bitcoin. A Peer-to-Peer Electronic Cash System [White Paper], https://bitcoin.org/bitcoin.pdf [abgerufen am: 26.10.2019].
10    Stiefmüller, Christian M.: Libra. Heads I win – tails you lose. Ten reasons why Facebook’s Libra is a bad idea, hg. v. Finance Watch 2019, https://www.finance-watch.org/wp-content/uploads/2019/07/Libra-Paper_Fin..., [abgerufen am: 08.11.2019], S. 4.
11    Vgl. Stiglitz, Joseph E.: Facebooks geplante Kryptowährung Libra. Wider die „Libralisierung“ der Welt, in: Weltwirtschaft und Entwicklung 6/7 (2019), 4f.
12    Steinschaden, Jakob: Libra. So soll die Kryptowährung von Facebook funktionieren, 19. Juni 2019, https://www.trendingtopics.at/libra-so-soll-die-kryptowaehrung-von-faceb..., [abgerufen am: 13.10.2019]. In den Apps von Facebook – und zukünftig auch anderen Apps – wird man Libra gegen Fiatgeld einwechseln können. Dazu muss man seinen Bank-Account bzw. seine Kreditkartendaten in den Apps angeben. Auch auf Exchanges oder bei Krypto-Händlern wie Coinbase sowie bei Krypto-ATMs soll man Libra kaufen oder verkaufen können.
13    Stiefmüller: Libra. Heads I win – tails you lose, S. 4.
14    Vgl. Steinschaden: Libra. So soll die Kryptowährung von Facebook funktionieren.
15    Vgl. dazu Taplin, Jonathan: Move fast and break things. How Facebook, Google, and Amazon cornered culture and undermined democracy, New York 2017.