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„Ich will weg von Dominanzhierarchien, hin zu Wachstumshierarchien“

Annemarie Schallhart
Samstag, 18. September 2021

„Ich will weg von Dominanzhierarchien, hin zu Wachstumshierarchien“

Schon beobachtet? Projekte, die zu einem gesamtgesellschaftlichen Wandel beitragen sollen, haben häufig keine Vorbilder – es soll ja etwas Neues entstehen! Oft wird mit viel Herzblut und berührenden Visionen, aber auch überschaubaren Budgets, eingefahrenen Mustern und dem Ungewissen in ständiger Begleitung gearbeitet. Unser Zertifikatslehrgang Geld & Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten widmet sich auch den Themen „selbstgeführte Organisationsformen“ und „partizipatives Entscheiden“: wertvolle Werkzeuge für Projekte, die das Gemeinwohl fördern wollen und damit am Anfang stehen.
Anna Erber sprach mit der Expertin Annemarie Schallhart, die nun auch zum Kreis der Vortragenden im Lehrgang gehört.

 

Liebe Annemarie, was bedeutet Geld für Dich?

Geld ist nicht unwichtig, aber es ist nicht alles. Geld ist letzten Endes einfach ein Mittel, um ein gutes Leben zu haben. Für mich ist es inzwischen auch ein Mittel, bei dem ich wirklich gut überlege, wohin ich es gebe, um in der Welt etwas zu bewegen.

 

Du bist ja vor kurzem zum Kreis der Vortragenden in unserem Zertifikatslehrgang dazugestoßen. Magst du etwas mehr über dein Thema erzählen?

Es geht vor allem um partizipatives Entscheiden, und um Organisationsmodelle. Ich bin unter anderem Soziokratieberaterin und erzähle im Lehrgang zum Beispiel Grundsätzliches zu Kreisorganisationen und Soziokratie. Von den in der Soziokratie geltenden vier Prinzipien für miteinander geführte Organisationen ist eben eines, wie entschieden wird. Das ist ganz zentral!
Es handelt sich um den Konsent – eine stark strukturierte, effiziente Methode, die aber dem Konsens sehr nahe kommt. Es ist keine basisdemokratische Entscheidung, sondern eine verfeinerte demokratische Entscheidung, bei der Minderheiten nicht übergangen werden können.
Alle, die in dieser Gruppe sind, die die Entscheidung – auf ein vereinbartes Ziel hin – trifft, können „ja“ dazu sagen. Sie passt vielleicht nicht für alle 100%ig, aber es können alle mitgehen. So eine Entscheidung hat eine ganz andere Power, als wenn ich von vornherein ein paar Leute habe, die denken: „Ich würde das anders machen, aber ich wurde ja nicht gefragt.“
Im Lehrgang gehe ich aber noch auf weitere Entscheidungsvarianten ein, also z.B. auf das systemische Konsensieren und andere Methoden.

 

Wie stellst du dir „miteinander geführte Organisationen“ generell vor?

Auf einer Skala zwischen „total hierarchisch“ und „selbstorganisiert“ gibt es alles, würde ich sagen. Auch eine selbstorganisierte Organisation ist nicht hierarchielos, sie ist vielleicht hierarchiearm, aber aus meiner Sicht gibt es keine hierarchielose Organisation. Das ist ein Märchen – wenn es keine formellen Hierarchien gibt, dann gibt es informelle Hierarchien.
Ziel ist für mich, von Dominanzhierarchien hin zu Wachstumshierarchien zu kommen, zu organischen Hierarchien, zu lebendigen Ordnungen. Man kann Organisation wie ein Ökosystem betrachten, ich nehme da immer mehr Anleihen zur Natur. Schon Fritjof Capra hat das beschrieben, und gerade jetzt habe ich wieder ein Buch gelesen von Robin Wall Kimmerer: „Geflochtenes Süßgras“. Sie ist Botanikerin mit indigenen Wurzeln und bringt das indigene Naturverständnis mit dem wissenschaftlichen Naturverständnis in Einklang. Wie viel man davon lernen kann! Leider wird oft gesagt, das Ökologische sei „flach“, es fehle der Geist – dabei beinhaltet das indigene Naturverständnis so viel Geist und Spiritualität! Ich will natürlich nicht zurück zur Stammeskultur, aber das indigene Naturverständnis birgt Schätze, die man heben und in transformierter Form wieder in unsere Welt hineintransportieren kann. Für eine solche Organisationsentwicklung muss man weg vom rein kausalen Denken, hin zum systemischen Denken. Dabei betrachtet man die Zusammenhänge, die Kontexte immer stärker, und schaut nicht nur auf einzelne Punkte. Und dann gibt es noch den Schritt zum ganzheitlichen Denken. Dabei wird die sogenannte Linearitätsgrenze überschritten – nicht mehr nur das Rationale gilt, sondern auch die Intuition und das immense implizite Wissen, das die Menschheit gespeichert hat, können hereingeholt werden.

 

Ich habe gerade Gänsehaut –

Anna, es ist kein Zufall, dass ich das jetzt erzählt habe. Du führst das Interview. Du bietest diesen Raum und machst ihn auf, damit „es“ fließen kann und viele Menschen mehr über dieses Thema erfahren können, wenn sie wollen.

 

Danke, das berührt mich total –
Was ist aus Deiner Sicht das Besondere am Lehrgang, und was hat Dich dazu bewogen, Teil davon sein zu wollen?

Weil die Menschen, die diese Ausbildung anbieten und machen – das hat sich immer wieder bestätigt – ein Weltbild und ein Menschenbild verinnerlicht haben und vertreten, dem ich mich selbst auch verbunden fühle. Wenn ich mit Organisationen arbeite, merke ich oft, wie wichtig diese innere Haltung ist, damit mit strukturellen Mitteln etwas bewegt werden kann. Hier ist sie schon als Humus vorhanden, und ich kann Methoden dazulegen, damit die Menschen wirklich so arbeiten können, wie sie wollen.

Danke!

Interesse? Das nächste Info-Webinar zum Zertifikatslehrgang „Geld & Gemeinwohl“ findet am 14. 10. um 17:30 Uhr statt.