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"Gemeinwohl und Individualwohl können nur gemeinsam gelingen"

Portrait Alfred Strigl
Mittwoch, 13. Mai 2020

"Gemeinwohl und Individualwohl können nur gemeinsam gelingen"

Alfred, du bist einer der Vortragenden und Diskussionspartner*innen beim Zertifikatslehrgang "Geld und Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten". Ich würde dir gerne vier Fragen stellen:

 

Was bedeutet Geld für dich?

Geld ist Geist, geronnener, gestockter Geist. Auf das derzeitige sich global ausbreitende Gesellschaftssystem übertragen, das auch unser Wirtschaften dominiert, ist Geld wie Blut im Organismus von Lebewesen. Wir brauchen Blut um zu leben. Wir brauchen Geld, um zu handeln. Wohlgemerkt ist das in der derzeitigen Verfassung unserer gesellschaftlichen Übereinkünfte so notwendig. Ich kann mir vorstellen, dass wir Geld in seiner derzeitigen Form, wenn wir es bestmöglich einzusetzen gelernt haben, nicht mehr brauchen. Wir können uns nur dann wirklich befreien, wenn wir etwas ganz und gar erkannt, begriffen und durchlebt haben. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.

 

Was bedeutet Gemeinwohl für dich?

Gemeinwohl ist die Zusammensetzung der beiden Wörter "Gemein" und "Wohl" und meint damit das Ideal einer bestmöglichen Kombination aus diesen beiden Begriffen. Es ist Ausdruck der Liebe und Sorge um das Wohl eines gemeinsamen Ganzen. Interessant ist, dass das Wort "gemein" auch niederträchtig und frech bedeuten kann. Beim Gemeinwohl referenziert das Wort "gemein" aber auf das Gemeinsame und die Gemeinschaft.

 

Als der scheinbare Gegenspieler zum Gemeinwohl wird oft das Individualwohl aufgefasst. Das ist in meinen Augen falsch. Um gut auf mich und meine Bedürfnisse zu schauen, brauche ich ein funktionierendes soziales Netz um mich. Ich brauche sowohl Menschen, die ich liebe und Menschen, die mich lieben. Als auch Menschen, die für mich sorgen. Und Menschen, für die ich sorge. Gemeinwohl und Individualwohl können nur gemeinsam gelingen. Als den wahren Gegenspieler zu Gemein- und Individualwohl sehe ich "das Böse" schlechthin. Und auch das Böse möchte ich nicht grundsätzlich abwertend definieren: Ich sehe das Böse als das Gute – eben nur am falschen Ort und zur falschen Zeit.

 

Aber zurück zum Gemeinwohl, hier möchte ich Thomas von Aquin zitieren, der gemeint hat: "Da nun jeder Mensch ein Teil eines bürgerlichen Gemeinwesens ist, kann der Mensch unmöglich gut sein, wenn er nicht dem Gemeingut gerecht wird."

 

Wenn du die Finanzwelt gestalten würdest, was wären deine wichtigsten Eckpunkte, was wäre dein Credo?

Ich habe zum Thema Geld viel von meinem Lehrmeister Peter König gelernt. Er hat sich viele Jahrzehnte mit Geld und seiner Beziehung zu unseren Gefühlen und Emotionen, unseren Handlungs- und Lebensweisen befasst. Geld ist ein großes Geheimnis, ein Tabu. Und weil wir vieles mit und rund um Geld nicht ansprechen, besprechen und erlernen dürfen, sind wir in Bezug auf Geld alle Analphabeten. Unsere Projektionen auf Geld und unser Umgang damit sind für viele Verletzungen, Kränkungen und Traumen verantwortlich. Ich behaupte sogar, wer mit Geld gut umgeht, heilt. Wer mit Geld schlecht umgeht, kränkt und verletzt. Das hat viel mit Bewusstsein zu tun. Bewusstes Schenken, Geben, Leihen von Geld. Das brauchen wir. Von Peter König habe ich die "Geldarbeit" gelernt: das Entziffern und Befreien von Geld als Werkzeug – als wunderbares Werkzeug, wenn ich selbst bereit bin, mich als Wunder zu sehen und wunderbar zu handeln.

 

Dann würde ich die Finanzwelt gerne vom Kopf auf die Füße stellen. Geld kommt nach heutiger Definition als Schuld in die Welt. Geld, das ja aus der Luft "erfunden" wird, auf die näheren Details möchte ich hier nicht eingehen, kann als Gabe, als Geschenk in die Welt kommen. Damit würde von Beginn an Freude, Zustimmung und ein großes Dankeschön geboren. Und Geld braucht – wie Blut im Organismus – eine Umlaufsicherung, ein pulsierendes Herz. Das schafft beispielsweise eine Monetative, eine eigene Staatsgewalt.

 

Und ich bin für absolute Transparenz. Jeder soll wissen, wieviel Geld gerade wo ist, und wer woran wieviel Geld verdient. Dazu braucht es die volle Aufhebung der Geheimnistuerei zwischen Produzent*innnen und Konsument*innen. Alle sollten an einem Tisch sitzen und sehen, wohin wieviel Geld wofür fließt. Das geht in Richtung der Gedanken von Rudolf Steiner und seiner sozialen Dreigliederung. Viele der derzeitigen Gesetze rund um Konkurrenz und Wettbewerb müssten aufgeschnürt und neu verhandelt werden.

 

Eine weitere Idee, die ich besonders wichtig finde, ist: nicht diejenigen, die das Geld verdienen und schaffen, hauptsächlich Wirtschaftstreibende, sollen entscheiden, wie und wo das Geld bestmöglich wieder ausgegeben wird. Sozial, pädagogisch und künstlerisch tätige Menschen, Ärztinnen, Krankenpfleger, Volksschullehrerinnen sollen das tun. Diese Menschen wissen am besten, wie und wo Geld gebraucht wird. Das klingt naiv? Ja? Dann danke ich für dieses Kompliment. Gleichzeitig darf ich sagen, dass schon heute in vielen Stiftungen genau diese Gewaltenteilung gepflegt wird – mit großem Erfolg.

 

Du hast viele Jahre Erfahrung gesammelt als Berater und Experte für Nachhaltigkeit, giltst als Pionier auf diesem Gebiet und bist nach wie vor auch als Trainer, Vortragender und Universitätslektor in unterschiedlichen Kontexten tätig. Was ist deiner Meinung nach das Besondere an diesem Zertifikatslehrgang?

Der Lehrgang verbindet viele oft getrennte Welten und Sichtweisen auf Geld. Da gibt es die Geldtheoretiker, die sich trefflich über Finanzarchitektur, Geldschöpfung, Zirkulation und Spekulation streiten können. Dann gibt es die Friedensbewegten und Spirituellen, die Geld als Liebesgabe sehen und durch Geld Gutes und Heilvolles kreieren wollen. Und schließlich auch diejenigen, die Geld am liebsten vorgestern schon abgeschafft hätten. Alle haben irgendwie recht. Und alle dürfen in diesem Lehrgang zu Wort kommen.

 

Doch der Lehrgang geht noch tiefer. Neben der intellektuellen Befassung mit Geld wird das Phänomen Geld in Übungen erfahrbar gemacht. Geld- und Projektionsarbeit helfen, die eigenen LIcht- und Schattenseiten zu erkennen und bewusster mit diesen Kräften und Mächten umzugehen. Das Besondere für mich sind schließlich auch die Menschen, die den Lehrgang tragen, Christina Buczko, Thomas Reichmann und das ganze Team hinter ihnen. Ich mag diese Menschen und danke ihnen sehr für diesen wirklich wesentlichen Impuls.

 

Danke für das Gespräch!

 

PS: Alfred hat im letzten Jahr auch den Spannenden Studiengang "Weltanschauliches Wirtschaften" entwickelt, der ab nächstem Jahr an der Bertha von Suttner Privatuniversität als Masterstudium angeboten werden soll. Neben etwa dem buddhistischen und athroposophischen Ansatz ist auch gemeinwohlorientiertes Wirtschaften Thema. Alle Informationen dazu findest du hier.