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Geld gemeinsam gestalten – mit Nabila Irshaid

Landkamel Nabila Irshaid
Dienstag, 4. Mai 2021

Geld gemeinsam gestalten – mit Nabila Irshaid

Nabila Irshaid ist seit 2017 Mitglied der Genossenschaft für Gemeinwohl. Auf unsere Fragen nach ihren Beweggründen, den Wandel des Geld- und Finanzsystems mitzugestalten, antwortete sie schriftlich:

 

Was bedeutet Geld für dich?

 

Lange war ich der Ansicht, daß Geld eine dreckige Angelegenheit ist, von der ich lieber die Finger lasse.

Mt dem Umfang meiner Projekte hat sich meine Einstellung geändert und ich habe das Potential erkannt, mit (etwas) Geld viel verändern zu können. Mehr dazu unten.

 

Vor ein paar Jahren bin ich auf folgendes Zitat gestoßen, das mein Credo perfekt ausdrückt:

Geld ist ein Gestaltungsmittel, wir können es selbst in die Hand nehmen oder uns vom Geld gestalten lassen.

(Sinngemäße Wiedergabe, Urheberin unbekannt)

 

Geld ist auch ein emotionales Thema und wenn ich akzeptiere, daß die Finanzwirtschaft mir zu einem Großteil unbegreiflich bleibt

und der tägliche Mißbrauch des Geldes wohl weiter bestehen wird,

dann sehe ich immer noch genug Spielraum, innovative Handlungsräume für Geld zu eröffnen, auszutesten und auch Risiken einzugehen.

Seitdem macht mir der Umgang mit Geld manchmal sogar Spaß, und das ist ein wichtiger Antrieb für mich.

 

Was bedeutet Gemeinwohl für dich?

 

Gemeinwohl existiert in der kleinsten Zelle unserer Gesellschaft, der Familie.

Sobald ein Mensch oder zwei Menschen ein Kind bekommen,

ist Gemeinwohl der Antrieb, dieses Kind bestmöglich zu ernähren, zu pflegen, zu erziehen, ihm Chancen zu bieten.

Nur wenn die Gruppe gut versorgt ist, kann die Einzelne* gedeihen.

Und genauso umgekehrt.

Wenn das Individuum gedeiht, kommt es der zugehörigen Gruppe zugute.

 

Gemeinwohl gehört zu unserem Leben und Überleben wie das Atmen, es ist ein archaischer Wert. Dieses elementare Bewusstsein ist aus unserem Leben gedrängt worden – und ich bringe es wieder in mein Leben und teile es mit anderen.

 

Dürfen wir etwas mehr über dich erfahren, und warum du dich für einen Wandel des Geld- und Finanzwesens interessierst?

 

Ich bin in einer Familie mit multikulturellem und interreligiösem Vordergrund aufgewachsen und das begreife ich als Privileg.

Über den kurvigen Weg des Industrial Design-, Medizin-, Spanisch-, Arabisch- und Psychologiestudiums bin ich bei der Visuellen Kommunikation gelandet

und habe dieses Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg abgeschlossen.

Die Jüngste meiner fünf Kinder lebt mit mir in Wien, eine andere Tochter maturiert demnächst in Salzburg, die erwachsenen Kinder leben in Hamburg, Berchtesgaden und Wien.

 

Im internationalen Kunstbetrieb habe ich ganz gut Fuß gefasst und auch manchmal lebensverträglich verdient.

Mehrere Mechanismen ließen sich auf Dauer nicht mit meiner Lebenseinstellung vereinen.

 

  1. Ein angemessenes Honorar für die Künstlerin ist in den meisten staatlichen und privaten Budgets, in Galerien, bei Wettbewerben, bei Ausstellungen und kommissionierten Arbeiten nicht vorgesehen.
  2. Auch Künstlervertretungen bieten für gerecht bezahlte künstlerische Arbeit kaum Unterstützung.
  3. Ein angemessenes Honorar muss jedes Mal mühsam und individuell erkämpft werden.
  4. Die automatische Verflechtung von Finanzmarkt und Kunstbetrieb ist zu hinterfragen.
  5. Das ungeschriebene Gesetz der ständigen zeitlichen und örtlich flexiblen Verfügbarkeit und der Vorinvestition von Kosten bei sehr hohem Verlust-Risiko ist auf Dauer nicht realistisch.
  6. Sehr viele Menschen verdienen ihr Geld durch den Kunstbetrieb. Nur die Künstler können nicht davon leben.
  7. Die Abhängigkeit von Aufträgen, um Kunst schaffen zu können.

Das hat dazu geführt, daß ich fast nur noch im Bereich Community Based Art arbeite und vom Kunstmarkt unabhängige Wirtschafts-Kreisläufe entwickelt habe.

Dazu gehören das Jeanskamel und das Landkamel.

 

Das Jeanskamel ist 2016 in Salzburg gegründet worden und besteht seit 2019 in Wien in Hernals.

Im Jeanskamel wird mit Geflüchteten und Nachbarinnen aus alten Jeans und gespendeten Stoffen etwas Neues genäht und verkauft.

Zusätzlich bieten wir Wohnzimmerkonzerte, kreative Workshops und eine Waste Food Kitchen, die auf Spendenbasis finanziert werden.

Das Jeanskamel wirtschaftet mithilfe eines Vereins, eines Gewerbes und im Rahmen der Kunst.

 

Das Landkamel besteht seit Oktober 2020 und umfasst ein noch unbewohnbares altes Lehmhaus und einen 1.000 qm Garten, beide seit 20 Jahren vernachlässigt.

Für dieses Haus habe ich meine gesamten Ersparnisse aufgebraucht und deshalb für die Instandsetzung ohne Kapital ein Win-Win-Win-Modell entwickelt:

Experten geben dort Workshops z.B. zu Lehmbau, die Teilnehmer bezahlen die Experten und das Haus hat einen renovierten Bereich mehr.

Haus und Garten sind offen für gemeinsames Leben und Wirtschaften. Wer sich dort einbringen möchte, kann dort leben.

 

Das oben geschilderte System der beiden Kamele nennen meine Kollegin Ivana Volic und ich SOFT ECONOMY:

Wir haushalten innerhalb unserer Möglichkeiten, keine Schulden, wenig Kapital und Transparenz für alle Beteiligten.

Die Community um das Jeanskamel bildet unsere wichtigste Grundlage.

Dabei sind wir bestrebt, den Fluß des Geldes aufrecht zu erhalten.

Dafür benutzen wir viele der neuen Ressourcen, die meist aus dem Wiederverwenden von Gebrauchtem, Leihen und Teilen bestehen.

Wir reagieren auf Störungen des Finanz-Flusses mit möglichst wenig Verzweiflung, viel Vertrauen und Aktion, Aktivierung der Gemeinschaft und deutlicher Kommunikation.

Unsere eigentliche Währung, in der wir alles messen, ist die Lebenszeit und um diese zu würdigen, kann Geld eine Rolle spielen.

Wir wollen dabei weich und biegsam bleiben.

 

* Weiblich ist die Norm