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"Die üblichen finanziellen Einstiegshürden haben wir stark reduziert"

Gruppe Fehring
Donnerstag, 30. September 2021

"Die üblichen finanziellen Einstiegshürden haben wir stark reduziert"

Die Gemeinschaft Cambium in Fehring in der Steiermark ist Lebens- und Wirkort von Christian Loy, dem Vortragenden zum Thema Geld & Gemeinschaft in unserem Zertifikatslehrgang Geld und Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten. Unsere Fragen über Geld, Gemeinwohl und Gemeinschaft gab er mit Hinweis auf den Mehrwert der Vielfalt an seine Weggefährt*innen weiter (das Bild entstand während der sichtlich humorvollen Finanzierungskampagne) – so kannst du auch einen Eindruck gewinnen, welchen Erfahrungsschatz Christian in den Lehrgang einbringt.

 
Was bedeutet Gemeinwohl für euch, und wie trägt eine Gemeinschaft zum Gemeinwohl bei?

Der Begriff ist ausufernd. Momentan schreien Klima- und Biodiversitätskrise, Flucht & Migration und die ungleiche Verteilung von Vermögen & Ressourcen nach nachhaltigen Antworten. Auch das Begleiten der nächsten Generation. Gemeinschaften können Orte sein, an denen mit anderen Formen des Zusammenlebens, des sich Versorgens und des sich Organisierens experimentiert wird. Dadurch können andere soziale und ökologische Praktiken in der Praxis erforscht werden. Auf unterschiedlichsten Ebenen entsteht so ein solidarischeres Miteinander. Menschen sprechen einander auch direkter und wertschätzend darauf an, wo die eigenen Handlungen dem Gemeinwohl, einem guten Zusammenleben oder den planetaren Grenzen im Weg stehen. So können wir das eigene Leben selbst in die Hand nehmen, gemeinsam große Fragen stellen und an Antworten forschen.

 

Was bedeutet Geld für euch?

Mittel zum Zweck. Sicherheit. Stress. Freiheit. Zwang. Alles Schlagworte, die aus der Gruppe wiederhallen. Was auch immer Geld noch alles ist, eines ist es immer: ein riesiges, wichtiges politisches Thema, aber auch Projektionsfläche, an der sich vieles zeigt.

 
Welche Erfahrungen habt ihr in eurer Gemeinschaft bisher mit dem Umgang mit Geld gemacht?

Da gibt es viele Blickwinkel. Sehr viele! Entlohnte oder nicht entlohnte, fixe oder variable Beiträge, gemeinschaftlich oder individuell Wirtschaften. Wir hatten viele Diskussionen dazu, und es hat gedauert, bis wir es geschafft haben einander zuzuhören. Oft haben ideologiebehaftete Begrifflichkeiten miteinander gerungen, und die dahinterliegende Bedürfnisse, Wünsche und Ängste wurden kaschiert. Und oft geht es beim Geld gar nicht ums Geld.

 

Aus unserer Erfahrung lässt sich nichts über einen Kamm scheren. Gerade deswegen ist ein interessierter Austausch untereinander wichtig, auch die Bereitschaft sich kurz mit der eigenen Position zu desidentifizieren. Es braucht Zeit und diesen Austausch, um die Glaubenssysteme, die eigenen und die der Weggefährt*innen in Zusammenhang mit Geld kennenzulernen, zu verstehen und zu hinterfragen. Je nach Thema, Projekt und Arbeitsgruppe haben sich im Laufe der Jahre unterschiedliche Zugänge ergeben, mit Geld umzugehen – und sie existieren parallel...
 
Unsere Nutzungsbeiträge (vergleichbar mit Mieten, Anm.) sind beispielsweise als Richtwerte gestaltet, zur Orientierung gedacht. Und dann schätzt man selbst ein, ist eingeladen dabei mutig über- und unterzuschreiten. Kein Mensch soll Sorgen wegen Beiträgen in schwierigen Phasen haben. Es gibt ein vitales Bekenntnis dazu, Menschen gemeinschaftlich mitzutragen, wenn es gerade stimmig ist. Das ist nicht so einfach. Bis heute fällt es vielen schwer, sich selbst guten Gewissens weit unter dem Richtwert einzuordnen. Und was heißt stimmig und fair überhaupt? Darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen, gerade wenn eine Gruppe so unterschiedlich ist wie wir.
 
Jetzt, nach einigen Jahren, sind die Beiträge immer stärker an den Richtwert angepasst, auch weil sich finanzielle Situationen aneinander angeglichen haben. Aber nicht nur. Viele haben Geld und tun sich trotzdem schwer, es „in Umlauf“ zu bringen. Andere haben keins und schaffen es dabei, sehr freigiebig zu sein.  Wir schaffen unterschiedliche Räume zur Reflexion – mal tiefgründig, mal verspielt –, und laden dazu ein, einander anzusprechen, wenn die Selbsteinschätzung nicht stimmig erscheint. Geld und Vertrauen sind eng gekoppelt, und das Vertrauen wächst im offeneren Umgang damit.  
 
Wir schreiten weiter offen und fragend voran, wie wir unseren internen Umgang mit Geld weiterentwickeln wollen. Wir wollen noch lernen, den Budgetprozess freudvoll zu gestalten und die Finanzen-Arbeitsgruppe weniger männlich zu besetzen. Inspirationen zum Weiterexperimentieren gibt es zuhauf: Erwerbsgenossenschaften, um gemeinsam zu wirtschaften. Menschen, die sich zu Solidarökonomie zusammenschließen und damit gemeinsam ein Konto haben. Aber auch Bewegungen wie „Verantwortung Erde“, die versuchen, alles soweit möglich ohne Geld zu gestalten.

 
Können in Gemeinschaftswohnprojekten nicht nur Menschen mitmachen bzw. mitentscheiden, die viel Geld haben?

Cambium zählt vor allem auf Teilhabe und das Übernehmen von Verantwortung, nicht auf finanziellen Hintergrund – der so stark von Zufällen abhängt. Durch unsere Finanzierung und die damit einhergehende Trennung von Eigentum und Nutzung haben wir die finanziellen Einstiegshürden wie sie in anderen Projekten und Wohnformen oft der Fall ist, stark reduziert. Das ist ein wichtiger Eckpunkt, zu dem wir einiges veröffentlicht haben: https://www.cambium.at/vermoegenspool-konzept
 
Dennoch ist es schwer abzustreiten, dass am Aufbau unseres Projekts viele Menschen mitgewirkt haben, die einen privilegierten ökonomischen oder Bildungshintergrund haben. Gleichzeitig sind auch Menschen Teil unserer Gemeinschaft, die sich entschieden haben, lieber prekär zu wirken als sich vermeintlichen ökonomischen Zwängen auszuliefern. Die offene Frage ist, ob wir es schaffen, hier für noch mehr Ausgleich zu sorgen. Eine andere Frage ist, ob dieser Ausgleich nicht auch noch weit über uns hinaus gehen sollte. Global betrachtet, sind wir alle privilegiert. 
 
Wie schon öfters wollen wir eine größere Frage wir mit euch teilen: Über 600 Milliarden Euro Vermögen liegen alleine aufs Österreichs Konten und Sparbüchern herum. Was ist notwendig, damit sich diese auf eine Reise machen zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Gemeinwohl? Weg von den derzeitigen Anlageformen. Den meisten fällt es leichter, ihre Zeit zu verschenken oder zu investieren als ihr Geld. Wir fragen dich: Wann verschenkst du dein Geld?

 

Weiterführende Informationen:

www.cambium.at

christian@cambium.at

 

Und zum Thema Geld & Gemeinschaft natürlich unser Zertifikatslehrgang Geld und Gemeinwohl – Die Finanzwelt verstehen und gestalten!

Das nächste Info-Webinar findet am 14. Oktober, 17:30h statt.