Direkt zum Inhalt

Die Inflation: Ein Gespenst?

zerknitterter Geldschein
Samstag, 2. April 2022

Die Inflation: Ein Gespenst?

Die Inflation ist gegenwärtig wieder in aller Munde. Doch was verbirgt sich dahinter? Handelt es sich dabei „nur“ um einen Fachausdruck für Geldmengenausweitung oder die Preissteigerung von Produkten? Welche Folgen hat eine hohe Inflation? Und wer ist davon auf welche Weise betroffen? – Eine Betrachtung von Christina Buczko und Fritz Fessler.

 

Der Begriff Inflation leitet sich vom lateinischen Wort „inflatus“ ab, was so viel bedeutet wie „aufgeblasen“ oder „geschwollen“. Inflation bedeutet allgemein einen Anstieg von Preisen für Güter und Dienstleistungen innerhalb eines bestimmten Währungsraumes. Berechnet wird die Inflation auf Basis definierter Warenkörbe oder -indices.(1) In Österreich ist dies der Verbraucherpreisindex (VPI)(2), und der lag einer ersten Schätzung der Statistik Austria zufolge im Februar um 1,3 Prozent höher als im Jänner sowie im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres sogar um 5,9 Prozent höher.(3) Dies ist ein bemerkenswerter Anstieg, lag die Inflationsrate in den vergangenen Jahren seit 2000 stets zwischen 0,5, einem oder bestenfalls einmal bei knapp über drei Prozent.(4) In Deutschland stieg die Inflationsrate im März dieses Jahres gegenüber dem Vorjahresmonat sogar auf 7,3 Prozent. Dies ist der höchste Anstieg der vergangenen 40 Jahre.(5)

 

Wie entsteht Inflation?

Die herrschende Volkswirtschaftslehre erklärt das Entstehen von Inflation aus dem Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage: Auf der einen Seite sieht sie die Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft, auf der anderen die Nachfrage, sowohl der privaten Sektoren – Unternehmen und Haushalte – als auch der öffentlichen Hand. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, z.B. als Folge vermehrter öffentlicher Aufträge und ausgeweiteter Staatsverschuldung, steigt der Theorie zufolge die Inflation.(6)

 

Steigende Preise und damit auch die Inflation wurden lange Zeit auch mit einer Ausweitung der Geldmenge in Verbindung gesetzt. Dieser These folgend war eine Steuerung der Geldmenge lange Zeit eines der wichtigsten Instrumente zur Inflationsbekämpfung. Bestünde hier allerdings tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang, würden uns hohe Inflationsraten bereits länger begleiten, stellt doch die Europäische Zentralbank im Rahmen ihrer diversen Hilfspakete bereits seit Jahren große Mengen an frischem Geld bereit.(7)

 

Warum ist die Inflation jetzt so hoch?

Ein wesentlicher Treiber der aktuell hohen Inflation sind die gestiegenen Energiepreise, die viele Menschen bereits unmittelbar spüren. Diese Preissteigerungen werden in den Medien mit dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland in Verbindung gebracht. Tatsächlich dürfte hier jedoch Finanzspekulation eine bedeutsame Rolle spielen.(8) Die Energiepreise haben auf die Inflation jedenfalls großen Einfluss, da die durchschnittlichen Haushalte dafür einen beträchtlich höheren Anteil ihres Einkommens ausgeben (müssen), als für andere Produkte, die ebenfalls in die Berechnung mit einfließen. In vielen Ländern haben die Regierungen deshalb bereits verschiedene Maßnahmen zur kurzfristigen Entlastung der Bevölkerung – von erhöhten Pendlerpauschalen bis hin zu vergünstigten öffentlichen Verkehrsmitteln – verabschiedet.

 

Wie steuerbar ist die Inflation?

Eine durchschnittliche Inflationsrate von zwei Prozent pro Jahr ist das Ziel der Geld- und Fiskalpolitik der westlichen Notenbanken. Dieser jährliche Kaufkraftverlust wird als Preisstabilität verstanden, und Preisstabilität ist im Fall der EZB das einzige gesetzlich vorgegebene Ziel ihrer Geldpolitik. Wie kann eine Zentralbank die Inflationsrate in einem Währungsraum steuern? Mit geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen wird versucht, den Preisauftrieb zu fördern oder zu bremsen. Die zugrundeliegende Annahme lautet: Wird das Wirtschaftswachstum etwa durch Zinssenkungen, Geldmengenausweitung („Quantitative Easing“) und eine aktive Ausgabenpolitik der Staaten – im Zuge einer so genannten expansiven Fiskalpolitik – stimuliert, kurbelt das die Wirtschaft an und reduziert die Arbeitslosigkeit. Dadurch soll die Inflationsrate gemäßigt ansteigen. Umgekehrt führt eine restriktive Fiskalpolitik mittels Schuldenabbau der Staaten und Zinserhöhungen der Zentralbanken zu einer Geldmengenreduktion, die zu einem Inflationsrückgang führen soll. Dadurch wird aber die Wirtschaft gebremst, was wiederum steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge hat. Zudem haben die Staaten weniger Budgetspielräume, da sie mehr an Zinsen für ihre Staatsschulden zahlen müssen. Soweit die Theorie. Diese Theorie funktioniert in der Praxis aber verlässlich nur in eine Richtung. Hohe Zinsen bremsen die Wirtschaft definitiv ab, niedrige Zinsen führen jedoch nicht automatisch zu einer prosperierenden Wirtschaft. Um mit einem Bild zu sprechen: Man kann an den Zügeln ziehen, damit ein Pferd langsamer wird, aber man kann an Zügeln nicht schieben, damit es schneller läuft.

 

Innerhalb der Europäischen Währungsunion steht die Politik zudem vor der besonderen Herausforderung, dass die jeweilige Ausgangslage in den verschiedenen Mitgliedsländern mitunter recht unterschiedlich ist. Die Europäische Zentralbank legte ihr Inflationsziel im Rahmen ihrer geldpolitischen Strategie im Juli des Vorjahres – noch angesichts der damals niedrigen Inflationsrate – auf jährlich zwei Prozent fest. Sowohl Abweichungen nach unten als auch nach oben werden fortan als schädlich betrachtet.(9) Dieses Ziel wird aktuell mehr als deutlich verfehlt. Dass die Steuerungsfähigkeit der Politik und konkret auch der Zentralbanken hier an ihre Grenzen stößt, zeigt sich exemplarisch an den Aussagen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde in den vergangenen Monaten. War im Jänner dieses Jahres noch von einem baldigen Rückgang der Inflation die Rede,(10) räumte Lagarde ebenfalls noch im Jänner ein, die Inflation unterschätzt zu haben.(11) Mittlerweile erwartet die EZB-Chefin aufgrund des Krieges in der Ukraine kurzfristig eine höhere Inflation und niedrigeres Wirtschaftswachstum.(12)

Aktuell haben wir die paradoxe Situation, dass es eine erhöhte Geldmenge im Euroraum gibt, da die EZB in den letzten Jahren große Mengen an frischem Geld in den Markt gepumpt hat, und der Leitzins immer noch bei knapp null liegt. Die Wirtschaft sollte mit den überaus großzügigen Covid-Hilfen florieren, hat aber aufgrund der unsicheren geopolitischen Lage – als Folge des Überfalls Russlands auf die Ukraine – gerade eine Bremsung hinlegt. Betriebe werden in unsicheren Zeiten geplante Investitionen verschieben. Hinzu kommen noch Lieferprobleme in mehreren Branchen (Bau, Papier, Automobil, Computerchips, etc.) sowie die stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise. Das hat bereits zu ersten Produktionsstopps geführt. Ein in Folge reduziertes Warenangebot lässt die Preise aber noch weiter ansteigen.

Der Zentralbank müsste nun, um die Inflation zu bremsen, die Zinsen kräftig anheben. Das würde jedoch zu einem weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung führen, und Staaten könnten Probleme bekommen, die gestiegenen Zinsen für die in letzter Zeit stark angewachsenen Staatsschulden zu bezahlen. Wahrlich keine einfache Situation. Und es scheint, dass wir noch länger mit einer ungewöhnlich hohen Inflation werden leben müssen.

 

Wer verliert und wer gewinnt durch eine hohe Inflation?

Für Leute mit Geldvermögen, etwa in Form von Spareinlagen, bedeutet eine hohe Inflation in der Regel nichts Gutes, weil damit eine laufende Entwertung ihres Guthabens stattfindet. Ähnliches gilt für alle Gehaltsempfänger:innen, da eine hohe Inflation, die nicht sofort über Gehaltsanpassungen ausgeglichen wird, mit einem unmittelbaren Kaufkraftverlust einhergeht. Private Mieten sind zum Beispiel meist mit einer automatischen Wertsicherungsklausel versehen und mit dem Verbraucherpreisindex indiziert, und steigen daher rascher an, als Kollektivverträge angepasst werden. Somit wird der Druck auf die ärmere und Mittelschicht noch größer, und die Zahl der Menschen, die unter die Armutsschwelle rutscht, vermutlich steigen.

Für all jene, die einen laufenden Kredit zurückzuzahlen haben, kann eine hohe Inflation längerfristig hingegen vorteilhaft sein, da sie nominell zwar weiterhin die vereinbarte Summe leisten müssen, sich die Relation durch höhere Gehaltssteigerungen – die zumindest in Deutschland oder Österreich inflationsangepasst erfolgen – jedoch zu ihren Gunsten verschieben kann. Ähnliches gilt für laufende Unternehmenskredite und auch für die öffentlichen Haushalte, denn die Rückzahlung von Staatsschulden wird durch eine hohe Inflation ebenfalls deutlich günstiger.

Für die Exportwirtschaft gilt: Ist die Inflationsrate im Euro-Raum höher als in den Ländern, in die wir exportieren, werden europäische Produkte für Käufer:innen im Ausland relativ gesehen billiger, sodass die Exportquote ansteigt. Andererseits werden jedoch spiegelbildlich die Importe – also jene Güter, die wir aus dem Ausland beziehen – im Gegenzug teurer, da der Euro an Wert verliert. In Summe ist eine derart hohe Inflation wie wir sie jetzt erleben, also für niemanden ein Gewinn, da wir als Gesellschaft insgesamt verlieren.

 

Falls die Sanktionen des Westens dazu beitragen, das Leid, das der schreckliche Krieg in der Ukraine anrichtet, schneller zu beenden, dann ist es das allemal wert – Inflation hin oder her. Menschenleben sind mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen.

 

Quellen:

  1. Diese umfassen wichtige Güter des täglichen Gebrauchs. Bestimmte Bereiche, wie Finanzprodukte oder Immobilien, sind darin nicht enthalten.
  2. Auf EU-Ebene wird der sogenannte „Harmonisierte Verbraucherpreisindex“ (HVPI) herangezogen, der in Teilen anders gewichtet ist.
  3. https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=127702 (30.3.2022)
  4. https://wko.at/statistik/prognose/inflation.pdf (30.3.2022)
  5. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/inflation-deutschland-maerz-energie-preise-ezb-101.html (31.3.2022)
  6. Vortrag Günter Grzega in der Akademie für Gemeinwohl am 28.4.2021
  7. https://blogs.faz.net/fazit/2021/11/08/mehr-geld-mehr-inflation-12417/ (30.3.2022)
  8. https://www.heise.de/tp/features/Steigende-Energiepreise-Ueber-Spekulation-wird-bisher-ja-ueberhaupt-nicht-gesprochen-6603958.html (30.3.2022)
  9. Zuvor lautete die Zielvorgabe: „unter, aber nahe zwei Prozent“. https://www.ecb.europa.eu/press/blog/date/2021/html/ecb.blog210914~a514f7c553.de.html (30.3.2022)
  10. https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-01/christine-lagarde-inflation-euroraum-ezb?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (30.3.2022)
  11. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/christine-lagarde-bei-davos-ezb-hat-die-inflation-unterschaetzt-17744906.html (30.3.2022)
  12. https://www.diepresse.com/6118711/ezb-chefin-lagarde-erwartet-kurzfristig-hoehere-inflation-und-niedrigeres-wachstum (30.3.2022)