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Die Genossenschaft: Rechts- und Unternehmensform mit eingebauter „Gierbremse“.

Montag, 6. Juni 2016 – von

Die Genossenschaft: Rechts- und Unternehmensform mit eingebauter „Gierbremse“.

Bankgenossenschaften - eine alte Idee mit neuer Aktualität, Interview mit dem Genossenschaftsexperten Holger Blisse

Fotocredit: Ulrike Schmidt-Parusel

Herr Dr. Blisse, Sie kennen sich gut mit Genossenschaften aus, diese sind heute wieder en vogue.

Die Genossenschaftsidee lässt uns nicht los. Von ihren neuzeitlichen Initiatoren wird gern zitiert: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“, wie es auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurückgeht, oder sinngemäß mit Hermann Schulze-Delitzsch: „Was Du nicht allein vermagst, dazu verbinde Dich mit anderen, die das Gleiche wollen“. Genossenschaften im ursprünglichen Sinne gehen u. a. auf die Allmende zurück, die gemeinsame Viehweidung.

Im wirtschaftlichen Sinne wird heute oft der Ich-AG das Bild einer Wir-eG gegenübergestellt: „Wir für uns“. Es handelt sich um eine Personengruppe, die sich zur Förderung ihres Erwerbs oder ihrer Wirtschaft zusammengeschlossen hat, um bestimmte Aufgaben mit Hilfe der Genossenschaft, verstanden als ein eigenes Unternehmen, zu lösen. Die Grundwerte einer Genossenschaft werden heute auch wieder aufgegriffen von Menschen, die neue Formen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens erproben. Oft sind die Organisationen von ihrer Rechtsform her als Vereine organisiert, wie z.B. eine Foodcoop, die eine Nische im Lebensmitteleinzelhandel einnimmt.

Bankgenossenschaften haben sich von ihrem Ursprung stark wegentwickelt.

Weiterentwickelt auf jeden Fall, wegentwickelt oft auch im Selbstverständnis, so dass vielfach gegenzusteuern versucht wird. Wegentwickelt jedenfalls, wenn sie in so genannte Doppelstrukturen eintreten: Das Bankgeschäft wird von einer Aktiengesellschaft ausgeführt im Eigentum von einer oder mehreren Verwaltungsgenossenschaften, verblieben von den früheren Kreditgenossenschaften. Die Stimmrechte in der AG üben die Verwaltungsorgane der Genossenschaft aus. Die Mitglieder entfernen sich dadurch vom Zentrum des Geschehens. Diese Strukturen sind auch aber nicht nur als eine Reaktion auf regulatorische Rahmenbedingungen in der EU zu verstehen.

Was sind die Vorteile einer Genossenschaft in der heutigen Zeit?

Genossenschaften vervollständigen eine mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur. Bezogen auf die Kreditwirtschaft halte ich eine vielfältige „Bankenlandschaft“ auch im Hinblick auf Systemstabilität für wichtig, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Sparkassen haben ursprünglich den Sparsinn gefördert, auch Kleinstsparer angesprochen im Sinne einer Mikrofinanz und waren für die Finanzierung kommunaler Aufgaben zuständig, sie sind gemeinwohlorientiert. Diese Ziele sind aktueller denn je, auch wenn sich in Österreich manche Institute in Aktiengesellschaften umgewandelt haben. Trotzdem sind die Institute ihrer Region verbunden. Die Bankenkrise hat bewirkt, dass die Menschen genauer wissen wollen, was mit ihrem den Banken anvertrauten Geld geschieht. Deswegen können Banken, die ihre genossenschaftlichen Werte glaubwürdig vollziehen und transparent arbeiten, das Vertrauen der Menschen behalten oder zurückgewinnen. Hierin liegt auch viel Potential für die Bank für Gemeinwohl.

Warum halten Sie Partizipation im Finanzsektor für wichtig?

Die Genossenschaft steht für eine Wirtschaft, in der Menschen aktiv angesprochen werden und teilnehmen. Die Mitglieder werden in der ökonomischen Ausrichtung der Genossenschaft mitgedacht, sie stehen im Mittelpunkt. Der Vorstand wird nicht so ohne weiteres eine Fusion und damit die Aufhebung seiner Genossenschaft zugunsten allein von Kosteneffizienz beschließen. Wir sollten jede fortbestehende Institution auch als Ort begreifen, Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten zu bieten, indem Arbeitsplätze bereitstehen. Für dieses wichtige Ziel sind die Mitglieder womöglich auch bereit, auf eine Dividende zu verzichten, im Bewusstsein, dass es auch ihr Arbeitsplatz sein könnte – oder sogar ist.

Kann sich diese gelebte Gemeinschaftlichkeit auch in neuen Bankprodukten widerspiegeln?

Die Genossenschaft kann z.B. eine Tourismusanleihe auflegen, um den lokalen Fremdenverkehr zu fördern. Sie verfügt mit dem Geschäftsanteil über eine besondere Ausprägung einer Unternehmensbeteiligung. Leiterinnen und Leiter einer Kreditgenossenschaft verstehen sich selbst als Unternehmerin und Unternehmer. Die etwas anderen Dimensionen beschrieb die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin mit den Worten, dass Genossenschaften eine „eingebaute Gierbremse“ hätten. Dies wird deutlich sichtbar daran, dass ein Mitglied üblicherweise nicht am Vermögenszuwachs teilnimmt – höchstens eine Dividende erhält, dafür aber der Bestand der Genossenschaft dauerhaft abgesichert werden soll. Im Vordergrund stehen die Leistungsvorteile wie etwa ein günstiger Kredit oder ein besserer Warenpreis wie bei einer Molkereigenossenschaft. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass dieser im Zeitverlauf nicht geringe Verzicht zum Vorteil weniger genutzt werden kann, gerade ohne alle weiter daran teilhaben zu lassen.

Die Genossenschaft übernimmt also gesellschaftliche Verantwortung?

Besondere Vorteile der Genossenschaftsstruktur sind die Unmittelbarkeit, die zwischenmenschliche Begegnung und der regionale Bezug. Eine partizipative Kreditgenossenschaft wird die Notlage ihrer Mitglieder verstehen und darauf reagieren. In Notzeiten wird die Genossenschaft möglicherweise eher bereit sein, die Kreditzinsen zu korrigieren, auch wenn das Risiko einen höheren Zinssatz erfordern würde. Eine Genossenschaft hat nicht das Ziel im Sinne einer höchstmöglichen Rendite, sondern arbeitet bedarfsorientiert für ihre Mitglieder – förderwirtschaftlich. Die Genossenschaft ist aber keine „Schönwetter-Rechtsform“, sondern bietet Sicherheit auch in schlechten Zeiten und ist gerade in solchen entstanden, weil dann die Bereitschaft der Mitglieder zum Miteinander, zusammenzurücken, besonders ausgeprägt ist.

Dr. Holger Blisse war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien und beschäftigt sich u .a. mit kredit-, land- und wohnungswirtschaftlichen, genossenschaftlichen und sozialpolitischen Themen.