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Befragung: Deutschlands Parteien über Geld

Montag, 15. November 2021

Befragung: Deutschlands Parteien über Geld

Ulrike Niethammer hat sich seit ihrer Teilnahme an unserem „Zertifikatslehrgang Geld und Gemeinwohl: die Finanzwelt verstehen und gestalten“ ganz dem Thema Geld verschrieben, auch innerhalb der Gemeinwohl-Ökonomie. Als Abschlussprojekt hat sie eine 4-teilige Bildungsreihe zum Thema Geld konzipiert, organisiert und in Herrenberg erfolgreich durchgeführt. Im Rahmen einer neu gegründeten Kooperation “GWÖ – Initiative AG Geld” hat sie nun die Parteien vor der Bundestagswahl auf Herz und Nieren zum Thema Geld und Finanzsystem befragt. Von dieser Erfahrung berichtet Ulrike nun im Interview:

 

GWÖ-Gruppe

 

Wie wurde die Befragung der politischen Parteien zum Thema Politik und Geld organisiert?

Innerhalb der Gemeinwohl-Ökonomie-Region Baden-Württemberg hatte sich 2020 eine Gruppe gebildet mit Rolf Dingethal aus Weil der Stadt, Wolfgang Läuger und Josef Mikus aus Konstanz. Im Zuge der intensiven Beschäftigung der Gruppe mit dem Thema Geld kam es irgendwann zur Frage: Wie denken eigentlich die Politiker, die uns regieren, über diese vielen Fragestellungen? Auf welche Geldtheorien beziehen sie sich, was haben sie für ein Geldverständnis, was für ein Wirtschaftsverständnis usw.? Und dann kam uns die Idee: Wir befragen die parteipolitischen Sprecher vom Bundesfinanzausschuss im Vorfeld der Bundestagswahl. Wir haben dazu das Tool abgeordnetenwatch.de genutzt. Die Fragen wurden vorher von einer Art Ethikkommission geprüft und danach über dieses Medium öffentlich und transparent gemacht.
Außerdem konnten wir Kooperationspartner für dieses Projekt gewinnen: die Gemeinwohlökonomie Deutschland, die Monetative mit Simon Sonnenberg, die Genossenschaft für Gemeinwohl, die E4F EnterpreneursForFuture Stuttgart und die Pufendorf Gesellschaft. Die Pufendorf Gesellschaft beschäftigt sich intensiv mit der modernen Geldtheorie, einer der Initiatoren ist Dr. Dirk Ehnts, der sich auch als Wissenschaftler mit der Geldtheorie beschäftigt.

Befragt wurden: Albrecht Glaser von der AfD, Fabio de Masi von den Linken, Florian Toncar von der FDP, Antje Tillmann von der Union, Lothar Binding von der SPD und Lisa Paus von den Grünen. Unserer Befragung haben wir Artikel 14 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vorangestellt: “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.” Die fünf Fragenblöcke, zu denen die Politiker Stellung beziehen sollten, waren:

 

  1. Maßnahmen im Rahmen der Corona-Krise: Corona war ja ganz aktuell und da ging es uns v.a. um die Frage, wie kann das alles finanziert werden, und was bleibt auf der Strecke?
  2. Maßnahmen zur Beseitigung sozialer Ungleichheit und deren Finanzierung.
  3. Maßnahmen zu umweltschonendem Wirtschaften und zur Einhaltung des 1,5° Ziels sollen ergriffen und wie finanziert werden?
  4. Finanzaufgaben zur allgemeinen Daseinsvorsorge – hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten wahnsinnig viel privatisiert
  5. Umsetzung notwendiger Reformvorschläge im Finanzsektor und
  6. noch als ganz wichtige Frage: das Thema Bürger*innenbeteiligung.
     

Was waren die Antworten?

Ich hebe ein paar Stichworte hervor: die CDU will zurück zur “schwarzen Null”. Wenn man ein tieferes Geldverständnis hat, weiß man, dass das nicht zielführend ist, aber man sieht, wie betoniert die Schuldenbremse in den Köpfen der Parteimitglieder ist. Die Linke dagegen sagt, dass man die Verfassung ändern und die Schuldenbremse aufheben muss. Da steckt vor allem der Finanzexperte Fabio de Masi dahinter, dessen Assistent Maurice Höfgen ist, der von der modernen Geldtheorie (MMT) kommt. Es zeigt, dass dieses Konzept in der Partei der Linken – zumindest in der Person von de Masi – angekommen ist. Dagegen meint die FDP, dass unser Staat über Steuern finanziert wird. Deshalb will die FDP wachstumsinduzierte Investitionen vorrangig über Steuerpolitik finanzieren. Die Grünen haben vor allem den Klimaschutz im Fokus. Wie der konkret finanziert werden kann, dazu gibt es keine umfassend überzeugenden Aussagen. Die SPD hält Staatsschulden per se nicht für schlecht. Sie sollen durch Wachstum des BIP langfristig marginalisiert werden. Die AfD vertritt dagegen den Standpunkt, Schuldenverstetigung sei das Gegenteil von Resilienzpolitik, ein No-go. Das sind die Kernaussagen, aus denen sich herauslesen lässt, ob es überhaupt ein realistisches Geldverständnis gibt und was dahinter steckt. Von daher denke ich, dass diese Ergebnisse ein wichtiges Zeitdokument sind. Sehr hilfreich wäre es, wenn sich eine Hochschule o.ä. finden ließe, die untersucht, wie das jeweilige Geldverständnis der einzelnen Parteien auch zu bestimmten politisch-gesellschaftlichen Konsequenzen führt.

 

Dann noch zu den notwendigen Reformvorschlägen im Finanzsektor: Da haben wir uns an den 10 abschließenden Punkten im Moneyfest der Genossenschaft für Gemeinwohl (Zulassungsverfahren für Finanzprodukte, die Trennung von Geschäfts- und Investment-Banking, die Besteuerung von Finanzanlagen usw.) orientiert. Bei diesen Fragen haben CDU und CSU ganz gekniffen und  überhaupt keine Antworten geliefert. Die Linken haben gefordert, dass es höhere Aktivmindestreserven geben soll und viele von den oben genannten Kriterien befürwortet. Aus Sicht der FDP ist das System der Geldschöpfung grundsätzlich sachgerecht, sie will auch nicht daran rühren. “Keine Monopolisierung der Geldschöpfung bei Zentralbanken” ist das klare Statement der AfD, da steckt wohl die Angst vorm regulierenden Staat dahinter. Dem steht die Antwort des finanzpolitischen Sprechers der SPD gegenüber, der sagt: “Kreditvergabe ist praktisch Geldschöpfung.“ Er war der Einzige, der das so konkret ausgedrückt hat, das fand ich super spannend.

 

Die gesamten Antworten können hier abgerufen werden:
https://monetative.de/wp-content/uploads/2021/09/Geld-und-Finanzpolitik-im-Bundestagswahlkampf-2021_Langfassung.pdf

 

Die Kurzfassung der Ergebnisse hier:
https://monetative.de/wp-content/uploads/2021/09/Geld-und-Finanzpolitik-im-Bundestagswahlkampf-2021_Zusammenfassung.pdf

 

Was hat Euch am meisten überrascht?

Wir hatten vor, den Antworten der Politiker unsere eigenen Antworten gegenüberzustellen. Das hat sich als schwierig herausgestellt, weil wir zwar unsere Antworten formuliert haben, aber keine Rückmeldung und damit keine Freigabe von den Gemeinwohl-Ökonomie-Gremien erhalten haben. Daher haben wir uns schließlich darauf geeinigt, dass wir unsere Antworten im Namen unserer „GWÖ-Initiative AG Geld“ formulieren. Da hätten wir uns mehr Unterstützung von den Gremien gewünscht. Wir werden den ganzen Prozess nochmal Revue passieren lassen und auch Vorschläge zur Verbesserung machen. Wir begreifen uns ja als lernende Organisation, die Veränderungen nicht nur von anderen, sondern auch von sich selber fordert.

Wie macht die GWÖ–Initiative AG Geld weiter?

Geld neu zu denken ist eine wirklich schwierige Herausforderung, weil die gängigen Vorstellungen unseres Geld- und Finanzsystems so stark in unseren Köpfen – auch in meinem eigenen – zementiert sind. Wie machen wir also weiter? Zum ersten: GELD über das Spiel „die Geldmaschine“ aus dem Film OEKONOMIA zum Thema machen. Damit wollen wir versuchen, Aufmerksamkeit zu generieren und erste Eindrücke zu schaffen, wie unser Geldsystem funktioniert. Dann wollen wir uns mit der Initiative „Geld Neu Denken“ zusammenschließen, die einen Bürgerrat zum Thema Geld initiieren möchte. Ein weiteres Ziel ist, analog zur Initiative „Wählbar 2021“, auch zu klima- und zu finanzpolitischen Fragen Stellung zu beziehen. Dafür haben wir 4 Jahre Zeit. Ich denke mir, in dieser Zeit sollten wir einen 8-Punkte-Katalog entwickeln, uns auf die wesentlichen Stellschrauben konzentrieren und alles mit wissenschaftlichen Zahlen, Daten und Fakten hinterlegen. In dieser Zeit könnten wir auch nach Alternativen zum bestehenden Geldsystem suchen und mit alternativen Lösungsvorstellungen die neuen Bundestagsabgeordneten konfrontieren – das ist so unser ehrgeiziges Ziel bis 2025.

 

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