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Hat Alternative Ökonomie Zukunft?

Theatergruppe Fleischerei / Genossenschaft Bank für Gemeinwohl
Dienstag, 3. Mai 2016 – von

Hat Alternative Ökonomie Zukunft?

Eine Podiumsdiskussion rund um Paradigmenwechsel in der Wirtschaftslehre, Genossenschaften als Modelle solidarischer Ökonomie und die geringer werdende Macht der Politik.

Hat Alternative Ökonomie Zukunft? Diese Frage diskutierte eine Expertinnenrunde am Mittwoch, den 27.4 im Wiener Theater Akzent, moderiert und eingeladen von Petra Draxl, Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, im Anschluss an eine beeindruckende Theaterperformance. „Wir alle sind Marienthal“ der Theatergruppe „Fleischerei“ (Eva Brenner www.experimentaltheater.com) machte den Leistungsdruck erlebbar, der auf Arbeitslosen ebenso wie auf leitenden Angestellten des AMS lastet und zeigte: Die Erkenntnis, dass Arbeit Lebenssinn gibt, ist seit der berühmten Marienthal-Studie weiterhin brennend aktuell.

In der anschließenden Diskussion stellte Andrea Grishold, Professorin für Alternative Ökonomie an der WU Wien, den Paradigmenwechsel in der Wirtschaftslehre dar: Während früher Margret Thatchers „There is no alternative“ gegolten habe, sei nun eine Öffnung zu beobachten, so die Ökonomin. Seit der Bankenkrise forderten Studierende plurale Konzepte ein. „Es herrscht eine Aufbruchsstimmung für neue ökonomische Denkrichtungen wie etwa die solidarische Ökonomie oder die Gemeinwohlökonomie“, sagt Grishold. Wirtschaftswissenschaften seien im letzten Jahrzehnt deutlich politischer geworden. „Die Student/-innen erkennen, dass es nicht gottgegeben ist, wie erwirtschaftete Gelder verteilt werden.“ Zentrales Interesse junger Menschen seien heute Fragen der Ungleichheit und der Verteilung. Dazu gehörten auch politische Themen wie Vermögens- und Erbschaftssteuer oder Arbeitszeitverkürzung. 

Christine Tschütscher, Vorständin der Genossenschaft zur Gründung einer Gemeinwohlbank, berichtet, dass Genossenschaften als solidarische Organisationsform heute wieder en vogue seien. Diese seien ein altes und zugleich innovatives Modell für solidarisches Wirtschaften. Die BfG Genossenschaft sei eine „Genossenschaft 2.0“, interaktiv und partizipativ. „Wir kehren zurück zu den Wurzeln des Genossenschaftswesens: ;öglichst viele Menschen sollen aktiv teilhaben und informiert werden“, so Tschütscher. „Eine lebendige Diskussionskultur und Meinungsbildung ist uns besonders wichtig, daher achten wir auf Transparenz und laufende Informationsweitergabe an unsere Mitglieder.“ Im Rahmen von Newslettern, Genossenschaftsversammlungen und Mitgliederbefragungen werden die Genossenschafter/-innen zu den nächsten Entwicklungsschritten der ersten Ethikbank Österreichs befragt. Im nächsten Jahr soll auch ein Online-Abstimmungstool nach dem Vorbild der Piratenpartei kommen.

Judith Pühringer, Geschäftsführerin des Dachverbandes Sozialer Unternehmen, erinnert daran, dass letztere in den 80ern gegründet wurden. Es habe Aufbruchsstimmung geherrscht, mit Anspruch an Gemeinwohlorientierung und mit der Vision: nachhaltig und ökologisch wirtschaften anstatt gewinnorientiert. „Es sollten Keimzellen institutionalisierter Solidarität sein“, so Pühringer. „Bis heute möchten wir etwas bewegen, zwischen Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen verschwimmen die Grenzen, das hat Vor- und Nachteile.“ Heute haben soziale Unternehmen einen sozialpolitischen Auftrag. Was fehle, sei Freiwilligkeit sowie Möglichkeiten der Mitbestimmung, daher würden derzeit neue Modelle gesucht.

Die Autorin Margit Hahn hat Texte für die Marienthal-Performance beigesteuert. „Wohin verschwinden die Arbeitsplätze und wer profitiert von den Gewinnen der Unternehmen?“, das seien die politischen Fragen von heute, so Hahn. In Lateinamerika haben Arbeiter/-innen Fabriken übernommen: „Bei uns wäre es denkunmöglich, dass die Mitarbeiter/-innen des pleite gegangenen Baumax das Unternehmen weiterführen.“ Angesichts der aktuellen TTIP-Diskussion stellt sich das Podium die Frage: „Welche Macht hat Politik in der heutigen Zeit noch?“ Die Zukunftsaussicht sei Beteiligung, sich einmischen in den wirtschaftspolitischen Diskurs, sich selbst ermächtigen. Petra Draxl, Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, hat diesen außergewöhnlichen Abend organisiert und meint: ""Ich war vor allem von der engagierten Auseinandersetzung begeistert, mit der die Künstlerinnen und Künstler das Damals und das Jetzt durch die Gegenüberstellung von Bühne und Film in Kontrast gesetzt haben. Der Theaterabend hat gezeigt, dass sich an den äußeren Umständen des Wirtschaftslebens und des Arbeitsmarktes vieles geändert haben mag – dass aber wenig zu tun, wenig zu besitzen und wenig erwarten zu dürfen von den Betroffenen heute noch genau so erdrückend empfunden wird wie 1930."